Media Reality | Welchen Einfluss haben Medien auf die Konstruktion unserer Vorstellung von "Wirklichkeit"?

 

Steve Jobs wurde nachgesagt, er sei in der Lage gewesen ein "reality distortion field" aufzubauen. Gemeint ist damit, sein unverrückbarer Glaube an die Umsetzbarkeit selbst unrealistischer Vorstellungen hätte dazu geführt, dass diese sich irgendwann doch realisieren ließen. Wenn ich einen Blick auf die gegen-wärtige Wechselbeziehung zwischen Medienproduktion und Alltagsleben werfe, so hat sich das alt bekannte Phänomen – der Glaube kann Berge versetzen – zu einer beinahe fatalistischen Unterwerfung gegenüber medialen Prophezeiungen ausgewachsen.

 

Wer sind nun die aktuellen Propheten, deren Stimmen in der Medienlandschaft zentralen Raum erhalten? Es sind nicht die Denker, die Philosophen und Wissen-schaftler denen wir vertrauen, sondern wir hören zum Beispiel auf die "Stimme der Märkte", sowie auf Rating Agenturen und folgen den Wellenbergern beliebiger medialer Kettenreaktionen. Uralten Instinkten folgend, heftet sich unsere Aufmerksamkeit an jene Reize, die im Stande sind uns zu erregen, die außer-ordentliches, sensationelles versprechen und uns emotional gefangen nehmen. Die technische Entwicklung hat es möglich gemacht, dass uns diese Stimulatoren ganztägig begleiten. Nicht mehr punktuell, mit Hilfe der Morgenzeitung oder der Abendnachrichten im Fernsehen, synchronisieren wir unseren Stimmungs-haushalt mit dem Strom medialer Produktionen, sondern mehr oder weniger permanent warnt uns unser Mobiltelefon vor neuen Schwankungen auf den Börsen, oder reizt uns mit der einen oder anderen Sensation. Die Chancen Abstand zu gewinnen sinken und die Wahrscheinlichkeit sich dem Strom der allgemeinen Befindlichkeiten anzuschließen steigen.

 

Plötzlich sind wir überrascht, mit welcher wachsenden Heftigkeit wir uns durch unser Leben geschüttelt erleben, als hätte uns jemand unserer Entscheidungs- und Urteilskraft beraubt.

 

Als nachhaltig haben sich nur wenige Erregungsstürme erwiesen. Ob Tsunami, Erdbeben, Ehec-Epidemie, Plagiatsvorwürfe, Abhörskandal, Spionagesoftware, Bilanzfälschungen oder Gewaltexzesse, vieles, würde es zum Jahreswechsel nicht noch einmal anufgewärmt, ist bereits unter den immer rascher folgenden Schüben neuer Meldungswellen in Vergessenheit geraten oder von der Agenda der zu bedenkenden Umstände verschwunden. Haben wir uns also nur der Errung wegen erregt? Vor allem, wenn es um zukunftsorientiertes Handeln geht, haben sich die Instrumente, deren wir uns bedienen um unser Wirklichkeitsbild zu entwickeln, als nicht immer hilfreich erweisen. So meinte unlängst eine Diskutantin im Fernsehen – für Utopien sei derzeit kein Platz. Zuerst müsse die Krise bewältigt werden, bevor Zeit sei um weiterzudenken, und die Krise sei nur zu bewältigen, in dem wir uns den Kettenreaktionen beugen, die über uns hereinbrechen, von welcher Seite auch immer. Realistisch sein bedeutet demnach seinen analytischen Verstand abschalten.

 

Die Möglichkeit "reality distortion fields" aufzubauen sehe ich daher, so absurd dies klingen mag, als interessante Chance sich den so genannten Zwängen zu entziehen. Wenn die Realität in weiten Bereichen nicht mehr ist, als eine allgemein akzeptierte Konstruktion, dann macht es Sinn diese Gestaltungsspielräume auch aktiv zu nutzen. Die Politik könnte in diesem Sinne noch etwas von Steve Jobs lernen. Wer nichts erreichen will, dem wird auch nichts gelingen.

 

 

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