Digitale Kommunikation

 

Ein direktes Gespräch läuft über viele Kanäle. Wir hören nicht nur, was zu uns gesprochen wird, sondern wir können versuchen, aus Körperhaltung und Körperspannung, Mimik und vielen weiteren sichtbaren, spürbaren und riechbaren Hinweisen einen Eindruck aus den Abwägungen der unterschied-lichen, mitunter widersprüchlichen Wahrnehmungen zu entwickeln. Aktion und Reaktion besitzen eine gewisse Verbindlichkeit. Eine Vielzahl von Konventionen, die an die äußeren Umstände einer persönlichen Begegnung geknüpft sind, bestimmen bereits weitestgehend die Spielräume, innerhalb derer sich Gespräche abspielen. Wir haben eine Vorstellung davon, welche Fragen gestellt werden können und mit welchen Antworten zu rechnen ist. Das schützt und bewahrt niemanden vor Überraschungen. Die Gesprächsteilnehmer sind sich jedoch im Allgemeinen bewusst, dass Grenzüberschreitungen bestimmte Konsequenzen nach sich ziehen.

 

Was ändert sich, wenn für die Kommunikation digitale Kanäle benutzt werden? Wir können immer schneller immer mehr Menschen mit einer Botschaft irgendwie erreichen. Gespräche müssen nicht vereinbart werden. Deshalb wird ihnen seltener ein bestimmter Raum zugewiesen. Der konventionelle Rahmen verliert an Bedeutung. Es ist schwer abzuschätzen, welche Bereitschaft besteht, sich auf einen Dialog einzulassen. Die Versuchung, nebenbei etwas von sich zu geben, immer öfter auch in Unkenntnis der zu erwartenden Zuhörerschaft, wächst.

 

Schon beim analogen Brief war nie klar, ob er den Adressaten erreicht oder bereits auf dem Weg abgefangen wird, ob er gelesen und beantwortet wird. Selbst ein Telegramm braucht seine Zeit, um anzukommen. Wir mussten lernen, geduldig auf Reaktionen zu warten. Digitale Medien jagen Informationen mit Lichtgeschwindigkeit von Ort zu Ort. Während auf der einen Seite dadurch die Ungeduld wächst, stapeln sich auf der anderen Seite die Informationsberge, die darauf warten, abgearbeitet zu werden. Wenn es viel zu beantworten gibt, fallen die Antworten mitunter recht einsilbig aus. Wir "twittern" anstatt zu argumentieren. Während die Komplexität der zu bewältigenden Zusammenhänge steigt, wächst komplementär die Sehnsucht nach einzelnen Worten oder kurzen Claims, die den Eindruck erwecken, bereits "alles" in sich aufzusaugen und auszudrücken (Sparpaket, Solidarbeitrag, Heuschreckenschwarm, etc.). Ideen wollen sich behaupten. Was sie eventuell bedeuten, spielt, solange sie Wirkung zeigen, eine zu vernachlässigende Rolle. Die Schnüre, auf denen die ansonst vereinzelten und unzusammenhängenden Informationen zu Erzählungen und bedeutungsstiftenden Geschichten aufgereiht wurden, sind vielfach zerrissen. Festgefügte Weltbilder drohen entweder zu zerfallen oder sollen durch unüberwindliche Zäune sicher gemacht werden, während andere bereits wieder spielerisch das Material zu neuen, mitunter auch beweglichen und flexiblen Mustern verarbeiten. Geschichten werden Autoren zugeschrieben. Wie sieht es jedoch mit der Autorenschaft aus, wenn sich in Netzwerken Informationen zu neuen Mustern verknüpfen? Wer trägt die Verantwortung, die Last und den Nutzen aus dem, was hier entsteht?

 

Selbstverständlich wurden schon immer Gedanken im Austausch zwischen Menschen solange hin und her gewälzt, bis jemand einen solchen Teig in Form gebracht und als sein Werk bezeichnet hat. Wenn heute Maschinen auf Basis von Programmen Informationen auswerten und miteinander verknüpfen, wie lässt sich dann noch geistiges Eigentum behaupten? Wenn Menschen danach beurteilt werden, welchen Beitrag sie zum Fluss der Informationen leisten, entsteht, wie vielfach zu beobachten ist, eine gewaltige Ansammlung wertvoller Ressourcen. Wie lässt sich jedoch sicher stellen, dass die Auswertung dieser Energien auch jenen wieder zugute kommt, die sich entsprechend eingebracht haben?

 

Wahrscheinlich wurde noch nie so viel kommuniziert wie heute. Die Gespräche beginnen allerdings gerade deshalb zu stottern, zerfallen in Bruchstücke und passen sich an den binären Takt des Mediums an: 0 = mag ich nicht, 1 = mag ich. Nur: welches Motiv, welche Energie und Leidenschaft und welche Bereitschaft besteht, für solche eine Meinung auch einzustehen und eventuell Ressourcen zu deren Durchsetzung oder Verteidigung einzusetzen, verrät der digitale Code noch nicht. Die Offenheit und Unverbindlichkeit der Dialoge hat wahrscheinlich auch dazu beigetragen, dass die Bereitschaft wächst, vieles nach außen zu tragen, was bislang verborgen blieb. Einzelne Konzerne haben den Fluss der Informationen als einen wertvollen Rohstoff entdeckt, der sich durch eine geeignete Weiterverarbeitung gewinnbringend verkaufen lässt. Mit welchen Konsequenzen auf digitale Kommunikationsversuche wir rechnen müssen, ist vielfach noch nicht eindeutig durch Konventionen gesichert. Diesen Leer- und Spielraum haben einzelne Gesprächsteilnehmer geschickt für ihre Zwecke genutzt. Schon immer haben sich einzelne Information rasch durch Mundpropaganda verbreitet. Diese Kettenreaktionen laufen heute viel schneller ab. Wer am Ende durch digitale Verbreitungswege an Macht gewinnt oder ohnmächtig überrollt und bombardiert wird, ist noch nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Wenn wir historische Ereignisse beobachten und danach fragen, wann und warum es Einzelnen gelungen ist, wirkungsvoll zu kommunizieren, dann zeigt sich, dass Aufmerksamkeit immer die Tendenz besaß, sich zu konzentrieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft immer mehr Menschen Gehör geschenkt wird, ist daher gering. Gerade die wachsende Gesprächigkeit beraubt uns der Chance, allen zuzuhören.

 

Im Laufe von Jahrtausenden haben wir gelernt, immer differenzierter auf unmittelbare Gesprächssituationen zu reagieren. Wie sich digitale Signale zu unserem Vorteil verarbeiten lassen, werden wir oft noch lernen müssen.

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